Stadtgespräch: Der beliebteste Knast in der Stadt

    Der Edeka Lonsdorfer in der Mainzer Straße wirbt mit großer Tradition seit 1907 und erfreut unser verantwortungsbewusstes Käuferherz mit einer breiten Lebensmittelpalette von Bio über Fairtrade bis Regional. Daher zählt er zu den angesagtesten Supermärkten in der Stadt. Nur die äußere Erscheinung seines Hauses steht im krassen Widerspruch zu diesem Nachhaltigkeitsgetöse. Nichts von den schönen Ansprüchen wird baulich umgesetzt, weder mit einem Städtebau, der auf den Kontext Rücksicht nimmt, noch mit einer Architektur, die ökologische und baukulturelle Mindeststandards einhält. Stattdessen bekommen wir einen höchst banalen Schachtelbau aus dem Gewerbegebiet präsentiert, der mitten in dichteste Innenstadtlage abgeworfen wurde. Dazu eine unzeitgemäße Bauweise wie fehlendes Tageslicht sowie Verzicht auf Dachbegrünung und energiesparender Maßnahmen. Und natürlich die übliche Flächenversiegelung in Form eines riesigen Parkplatzes davor, der die klaffende Lücke im schönsten Gründerzeitstraßenzug Saarbrückens auf Dauer manifestiert. Da wirkt die kleine, von der Stadt gestaltete Grünanlage nur als unbeholfener Versuch, die städtebauliche Wunde zu kaschieren. Sicher: das billige Gebäude stammt nicht von Lonsdorfer selbst - er ist nur Mieter. Errichtet hat es ein regionaler Projektentwickler für ihn. Aber das ist keine Entschuldigung, es ist der gängige Rendite-Pakt: für beide zählt nur der schnelle Euro! Am augenfälligsten wird diese Tatsache nachts: Asphaltwüste und weiß gestrichener Beton, eingetaucht in grelles Neonlicht! Man staunt nur, das diese Knastbau-Optik die große Beliebtheit des Marktes bisher nicht beeinträchtigt hat. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Kritikfähigkeit des Konsumenten auch für diesen Umweltaspekt entwickelt ist. Bis dahin schauen wir sehnsuchtsvoll nach Tirol, wo vernünftige Märkte entstehen: www.mpreis.at/standorte/architektur

    Erstmals veröffentlicht: November 2016, Fotos: baubar